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Fachkräftemangel

Eierlegende Wollmilchsau

Auslöser für dieses Stellengesuch ist ein Leserbrief eines Unternehmers in der Technolgy Review, der behauptete, dass er keine Manager findet. „Was uns aber fehlt, ist Humankapital in Form von Management-Resourcen.“ schreibt er. „Menschen, die in der Lage sind, Ressourcen so zu organisieren, dass diese einen Nutzen für die Gesellschaft erzeugen.“

Jedem dürfte klar sein, dass die Überschrift falsch ist. Eierlegende Wollmilchsäue gibt es nicht. Es gibt aber Menschen mit Fähigkeiten, die von deutschen Unternehmen keine Chance erhalten. Mir wurde schon mehrmals empfohlen, ich sollte doch auswandern. Das liegt mir aber nicht, ich bin auch aus familiären Gründen ortsgebunden und mein Lebensmittelpunkt liegt derzeit in München und dies sicherlich auch noch die nächsten neun Jahre.

Das Gejammere über den Fachkräftemangel kann ich nicht mehr hören. Zumeist entsteht er doch durch den Auswahlprozess selbst und die deutsche Absicherung der hundertprozentigen Sicherheit. Lieber wird eine Stelle gar nicht besetzt, als einem Wackelkandidaten eine Chance zu geben. Wackelkandidaten erhalten dort eine Chance, wo es keinen Brief und kein Zertifikat dazu gibt. Der Fachkräftemangel entsteht sicherlich auch dort, wo etwas überreguliert ist. Aber nicht alle Bereiche sind dermaßen reguliert. Der Mangel an Busfahrer zum Beispiel hat seine Ursachen in drei Dingen: die Ausbildung, die Bezahlung und die gesetzlichen Regelungen. Letzteres lässt sich nicht ändern und aufgrund letzterem könnte ich aufgrund eines Augenfehlers auch nie Busfahrer werden. Ersteres ist aber Sache der Unternehmen. Hierbei gibt es aber auch merkwürdige Entwicklungen.

Vielleicht könnte ich heute auch eine Callcenterfachkraft sein. Anfang der 90er Jahre konnte ich live erleben wie eine Musikstudentin mir vor die Nase gesetzt wurde, die keine Ahnung von dem Beruf hatte. Es gab aber auch keine Ausbildung dafür und im Gegensatz zu mir, hatte sie einen Brief des abgeschlossenen Studiums. Ich bin der Wackelkandidat ohne Brief und Diplom. Mit mir gibt es keine verbriefte hundertprozentige Sicherheit. Interessant auch als ich im First- und Secondlevel als Externer bei großen Konzernen arbeitete. Der Ingenieur eines Großkonzerns fragte mich, wie wir den Rollout denn immer wieder hinbekommen. Meine Antwort war „Wir haben halt gute Leute.“ Das ich keinen Ingenieurstitel habe und das ich noch nicht einmal Abitur habe, verschwieg ich ihm selbstverständlich. Ich war froh, dass ich bei dem Dienstleister eine Chance bekommen hatte. Dass jener Dienstleister letztlich Leute bekam, lag sicherlich daran, dass er eben nicht auf den Brief schaute, sondern auch Leuten ohne Brief eine Chance gab. Der Dienstleister wurde geschluckt und gehört heute zu einem Konzern und oh Wunder, er beschwert sich über Fachkräftemangel.

Ich bin eine Fachkraft aus Erfahrung. Definitiv kann ich diverse Sachen nicht. Zum Beispiel kann ich einfach nicht Scheiße als Gold verkaufen. In der Kundenaquise bin ich demzufolge auch schlecht, denn jeder möchte sein Produkt besser darstellen als es ist. Nutella ist aber eben nur eine Hasselnusscreme und manchmal ist es sogar mit dem schlechtdesigneten Glasinhalt beim Billigdiscounter chemisch identisch. So mag ich zwar begreifen und verstehen, dass der Markenaufwand bezahlt werden muss, kann es aber selber nicht. Verkäufer müssen für ihr Produkt brennen und ich brenne noch nicht einmal für mich selbst. Das mag mit ein Grund dafür sein, dass Schaumschläger in Deutschland einfach die bessere Karriere hinlegen. Das bedeutet nicht, dass es keine Fachkräfte gäbe, es bedeutet nur, dass ein gewisser Menschentyp bevorzugt wird. Hierbei macht es aber bereits einen Unterschied, ob ich die Kundenaquise organisieren muss und zum Beispiel den Verkäufer einstelle oder selbst verkaufe. Resourcen zu organisieren bedeutet nicht, dass ich alles könnte. Es bedeutet von Allem eine Ahnung zu haben und zu wissen, wie ein Loch zu stopfen ist und wo etwas fehlt. Im Zweifel bedeutet es leider auch mit der eigenen Unfähigkeit Löcher zu stopfen, wohl wissend, dass es Menschen gäbe, die diese Aufgabe besser erfüllen könnten. Wenn ich aber keinen diplomatischen Kontakter und Netzwerker habe, dann ist es halt mehr schlecht als Recht meine eigene Aufgabe. Wenn ich keinen Pressesprecher habe, dann muss die Pressemeldung halt selbst geschrieben werden. Wenn ich keinen Dispatcher oder Booker habe, dann muss es halt auch ohne gehen. Wenn kein Programmierer zur Hand ist, dann schreibt ich schon mal etwas selbst, wohl wissend, dass dieser Schrott den Namen Algorithmus nicht verdient oder noch schlimmer setze eine Weboberfläche auf, bei dem jeder Grafiker erbrechen würde. Und wenn die Veranstaltung so gar nicht Plan laufen will, dann wird alles über den Haufen geworfen und mit den vorhanden Resourcen im Chaosmanagement es irgendwie über die Bühne gezogen. Der eine Musiker, der es mitbekommen hat, weil er mir den Pausennotnagel machte, sagte hinterher „coole Socke“, aber ohne ihn wäre ich vollkommen abgekakt. Andererseits mache ich solche Dinge ohne Geld und ohne Bezahlung, denn in der Wirtschaft finde ich mit diesen Fähigkeiten keinen Job.

Ich finde einen Job noch nicht einmal dann, wenn meine Fähigkeiten bekannt sind und die später für eine Veranstaltung Angestellten mich um Hilfe fragen. Drei Angestellte einer nachfolgenden Organisation mit vollem Gehalt liehen sich bei mir Resourcen aus, weil sie selbst es nicht gebacken bekamen In jenem Jahr ging mir auf, das mich noch nicht einmal drei Angestellte ersetzen können. Diese drei Angestellten haben ein Budget von über 200.000 Euro verbraten, für eine Veranstaltung, die ich 4 Monate vorher mit 6000 Euro organisiert habe. Selbst wenn ich mir ein Gehalt von 100.000 Euro hätte zahlen können, was ich nicht kann, selbst dann wäre ich nur bei einem Budget von 106.000 Euro gelandet. Aber selbst wenn ich mir noch 3 Angestellte a 30.000 genommen hätte, wäre ich nicht da gelandet. Aber ich bin keine Fachkraft, ich habe keinen Schein und eine Chance erhalte ich sowieso nicht. Wir haben einen Fachkräftemangel.